Am Freitag wird die DKMS 30 Jahre alt. 30 Jahre, in denen die Organisation unermüdlich daran arbeitet, dass sich mehr und mehr Menschen als Stammzellenspender registrieren lassen. Rund sieben Millionen sind es inzwischen allein in Deutschland. Kerstin van Birgelen-Krüll und Alexander Karsch von der Pre-Press-Services GmbH sind zwei von ihnen. Das ist ihre Spender-Geschichte.
Am 8. März 2021 klingelt das Telefon von Alexander Karsch. Die Vorwahl zeigt eine Nummer aus Tübingen. „Ich dachte erst, das ist wieder einer dieser Anrufe, bei denen einem etwas verkauft werden soll“, sagt er. Er nimmt ab und verstummt. Sein genetischer Zwilling sei gefunden worden, ob er immer noch zur Stammzellenspende bereit sei, fragt die Stimme am anderen Ende. „In dem Moment fragt man sich `Machst du das jetzt wirklich?´ Die Antwort stand aber schnell fest: Natürlich mache ich es“, sagt der 32-Jährige.
Drei Jahre zuvor sieht Karsch Werbung der DKMS, die zur Typisierung aufruft und bestellt sich kostenfrei ein Päckchen. Ein kurzer Abstrich mit einem Wattestäbchen an der Innenseite der Backe genügt für die Bestimmung der genetischen Kompatibilität (zum Schaubild, welche Schritte dann folgen, hier klicken). Die DKMS führt eines von insgesamt 26 verschiedenen Registern zur Stammzellenspende. Egal bei welcher Organisation die Typisierung vorgenommen wird, alle Teilnehmer sind anschließend in sämtlichen Registern vertreten. Ein wichtiger Beitrag, besonders im Kampf gegen Leukämie.
Schon kurz nachdem Alexander Karsch, der bei der Pre-Press-Services GmbH im Bereich Planung und Steuerung arbeitet, den Anruf erhält, folgen die ersten Tests bei seinem Hausarzt. „Dort wurde mir dann Blut abgekommen, bevor es 20. April dann nach Köln zur Voruntersuchung ging, bei der man im wahrsten Sinne auf Herz und Nieren geprüft wird“, sagt er. Spätestens dort wird ihm bewusst, dass es nun ernst wird. „Ich wurde wirklich sehr, sehr nett behandelt. Alle sind zuvorkommend, niemand setzt einen unter Druck. Mir wurde aber schnell klar, dass meine Spende jetzt über das Leben oder den Tod eines anderen Menschen entscheidet. Eine sehr große Verantwortung, die man nicht mal eben so realisiert“, sagt Karsch.
4. Mai. Tag der Entnahme. In Köln, dem weltweit größten Entnahmezentrum für Stammzellen wird Alexander Karsch einem Menschen mit seiner Spende vermutlich das Leben retten. Morgens wird er abgeholt und in die Klinik gefahren. „Der Tag war ein Spagat zwischen Realität und Ablenkung. Es war ein gutes Gefühl, dass es losgeht“, sagt er. Der weitverbreitete Mythos, dass die Stammzellen-, auch Knochenmarksspende genannt, durch eine OP an der Wirbelsäule erfolgt, bleibt ein eben solcher. Vielmehr werden die Zellen in den allermeisten Fällen durch das Blut gewonnen. Nur noch selten werden Stammzellen während einer kleinen OP entnommen. Dann auch nicht aus der Wirbelsäule, sondern dem Beckenkamm. „Es ist ein bisschen wie eine längere Blutspende. Man wird an ein Gerät angeschlossen, das aus dem Blut die Stammzellen gewinnt. Das kann ein paar Stunden dauern. Währenddessen wird man voll umsorgt. Ich zum Beispiel habe einfach einen Film geschaut“, sagt Karsch. John Wick, einen Actionthriller. „Nicht gerade das Entspannteste, aber es lenkt gut ab“, sagt er lachend.
Wieder zuhause stellt sich Alexander Karsch anschließend dann diese eine Frage: Wer hat meine Spende bekommen? Später erfährt er, dass es ein 30-jähriger Mann aus Polen war, dem Karsch vermutlich das Leben gerettet hat. „Ich hoffe, dass ich bald Kontakt zu ihm aufnehmen kann. Leider handhabt es jedes Land anders. Einige erlauben Kontakt, bei anderen bleiben Spender und Empfänger völlig anonym.“
Kerstin van Birgelen-Krüll hat diese Anonymität zumindest ein Stück weit durchbrechen können. Rund ein halbes Jahr nachdem sie zur Spenderin wurde bekam sie über die Spenderzentrale einen anonymisierten Brief. „Meine Stammzellen gingen an eine Schweizerin Mitte 60. Sie schrieb mir einen Brief, in der sie sich bedankt hat und, dass sie den 15.1. fortan als zweiten Geburtstag feiern wird“, sagt van Birgelen-Krüll.
Der 15.1.2019 – das war der Tag an der ihr in der Düsseldorfer Uniklinik Stammzellen entnommen wurden. Rund ein Jahr zuvor hat sie sich wie Alexander Karsch mit einem Stäbchenabstrich der Wange typisieren lassen. „Das Thema schwirrte mir schon lange zuvor im Kopf rum. Nicht zuletzt durch die Krebserkrankung des besten Freundes meines Sohnes. Als schließlich die Einnahmen einer Aktion in unserem Karnevalsverein als Spende an die DKMS gingen, holte ich die Stäbchen, die ich schon zuhause hatte, raus und schickte sie gleich am nächsten Tag ein“, sagt Kerstin van Birgelen-Krüll, die im Anzeigen- und Datenservice der Pre-Press-Services GmbH arbeitet.
Womit sie nicht rechnete: Schon im Oktober bekam sie eine Mail, dass sie für eine Spende möglicherweise in Frage käme. Nach weiteren Bluttests dann der Anruf bei der Arbeit – sie kommt in Frage. „Ich war ein wenig von der Situation überfahren und mir wurde bewusst, dass es nun ernst werden würde. Nach kurzer Bedenkzeit war mir dann aber klar, dass ich es machen werde“, sagt die 46-Jährige. Von Familie, Freunden und Bekannten, die teils bereits gespendet hatten, bekam sie den nötigen Zuspruch. Aber auch durch ihre Vorgesetzten. „Das Gehalt für die Tage meines Ausfalls spendete die Pre-Press statt es von der DKMS zu fordern – das fand ich ganz toll“, sagt sie.
Kurz nach dem Jahreswechsel, wenige Tage vor dem Spendentermin starteten dann die ersten Vorbereitungen. „Man bekommt einige Spritzen, die die Zellteilung beschleunigen, sodass mehr Stammzellen aus dem Blut gewonnen werden können. Das ist aber nicht weiter schlimm“, sagt sie. Auch Kerstin van Birgelen-Krüll berichtet von einer unglaublichen Unterstützung und netten Betreuung durch die Verantwortlichen der Knochenmarkspenderdatei und der DKMS – besonders bei der eigentlichen Spende. Fünf Stunden hat es gedauert, bis genug Stammzellen aus dem Blut entnommen werden konnten. „So viel ging mir dabei gar nicht durch den Kopf“, sagt sie. Erst danach seien die Emotionen hochgekocht. „Ich habe mich laut gefragt ´Was ist gerade passiert?´“ „Du hast gerade jemandem das Leben gerettet“, antwortete ihr Sohn. Was inzwischen aus der Empfängerin geworden ist und wie es ihr geht, das weiß sie wegen der strengen Kontakt-Regelungen zwischen Spender und Empfänger in der Schweiz indes nicht.
Heute wirbt Kerstin van Birgelen-Krüll für eine Typisierung. „Ich habe damals beim Verlassen der Klinik festgestellt, dass wir uns im Alltag oft nicht bewusst sind, wie gut es uns als gesunden Menschen geht. Eine Spende hat nichts mit Mut oder dergleichen zutun. Es ist eine wichtige und recht einfache Möglichkeit todkranken Menschen zu helfen und möglicherweise sogar zur Heilung zu verhelfen. Das war und ist für mich Motivation genug“, sagt sie. Erinnert wird sie daran Tag für Tag durch eine Kaffeetasse, die durch von Leukämie genesenen Kindern bemalt wurde.
Informationen zum Thema finden Sie unter anderem auf der Homepage der DKMS sowie der Knochenmarksspenderzentrale der Uniklinik Düsseldorf.